Forschungsnetzwerk: Bildung und postsowjetischer Raum

Im November 2018 hat sich zum ersten Mal eine Gruppe von Erziehungswissenschaftler*innen getroffen, um sich gegenseitig über die jeweiligen Forschungsthemen und -kooperationen zu Ländern des postsowjetischen Raumes auszutauschen. Dabei wurden vielfältige Anknüpfungspunkte sichtbar.

Netzwerktreffen Bildung und postsowjetischer Raum

Wer Interesse hat, sich am Netzwerk zu beteiligen, melde sich bitte mit seiner Mailadresse unter Y29vcGVyYXRpb25AZGlwZi5kZQ== an. Wir freuen uns über weitere Mitwirkende.

Initiiert wurde das Netzwerk von Prof. Dr. Katja Koch von der Universität Rostock, Lehrstuhl Pädagogik mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung und Dr. Stephan Kehl von der PH Ludwigsburg sowie von Dr. Sieglinde Jornitz von der Servicestelle "international cooperation in education" des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation.


Positionspapier

Wir sind ein Zusammenschluss von Forschenden unterschiedlicher Fachrichtungen unter dem gemeinsamen Dach der Erziehungswissenschaft, die das Interesse an der Region des postsozialistischen Raumes eint. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den postsowjetischen Ländern. Grundsätzlich sehen wir dieses Netzwerk als thematisch offen, zu unseren derzeitigen Forschungsschwerpunkten gehören von der vergleichenden Erziehungswissenschaft über die Sonder- und Heilpädagogik auch Fragen der bildungswissenschaftlichen und -politischen Zusammenarbeit, der Bildungsgeschichte, der Schulpädagogik und der Berufsbildung (siehe unten).
Unsere Motivation für eine Beschäftigung mit dieser Region ist die u. E. nach den Transformationsprozessen der 1990 Jahre entstandene Lücke in den Forschungsaktivitäten der Erziehungswissenschaft, die dazu führt, dass der postsozialistische Raum in all unseren Fachrichtungen nur eine marginale Rolle spielt. Auf der anderen Seite ist die Erziehungswissenschaft im regionalwissenschaftlichem Forschungskontext ebenfalls kaum vertreten.
Unsere Initiative eröffnet einen Raum, der von der Initiierung von Forschungskooperationen über die Auseinandersetzung mit bedeutsamen historischen Persönlichkeiten der Erziehungswissenschaft bis hin zu den Besonderheiten der Mythen- oder Narrativbildung im postsowjetischen Raum reicht.
Ziele unserer Initiative liegen zum einen in der Stärkung der Präsenz des postsozialistischen Raumes in der deutschen Forschungslandschaft und zum anderen in der Stärkung der Erziehungswissenschaft im regionalwissenschaftlichen Kontext.
Hierzu finden regelmäßige Netzwerktreffen zum Zwecke des wissenschaftlichen Austausches sowie zur Vorbereitung thematischer Fachveranstaltungen statt.

Sonder- und Heilpädagogik

Der postsowjetische Raum birgt mannigfache Potenziale für Forschungsvorhaben im Kontext der Sonderpädagogik. Aktuell widmen wir uns folgenden Aspekten:

  • Umgestaltung des sowjetisch geprägten, segregierenden Bildungssystems für Kinder und Jugendliche mit Behinderung: Hierbei steht der Wandel separierender Sonderschulen und Internate zu integrativen und inklusiven Praktiken und der damit verbundenen besonderen Herausforderungen im Vordergrund.
  • Eine deskriptiv orientierte Analyse der Hürden bei der Umsetzung globaler behindertenpolitischer Konzeptionen: z. B. Leitbilder der De-Institutionalisierung und inklusiven Bildung, die vor dem Hintergrund sich unterscheidender politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Voraussetzungen einer Adaption an die jeweils spezifischen Bedingungen bedürfen.
  • Einfluss kultureller Wertvorstellungen auf die (Selbst-)Konstruktion von Behinderung: Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Konstruktion von Behinderung, die aktuell im Rahmen der disability studies als kulturelles Modell von Behinderung diskutiert werden.

Schlussendlich möchten wir auf die Möglichkeit des postsowjetischen Raumes hinweisen, jenseits der gängigen internationalen Kooperationsvereinbarungen neue Wege der Zusammenarbeit zu erschließen, die Studierenden und Dozierenden neue Perspektiven und Forschungsideen zu generieren ermöglichen.

Verantwortlich: Prof. Dr. Katja Koch (Universität Rostock) & Dr. Stephan Kehl (PH Ludwigsburg)


Berufliche Bildung

Der Arbeitsbereich “berufliche Bildung” widmet sich der Erforschung der Berufsbildungssysteme und beruflichen Qualifizierungsprozesse des post-sowjetischen Raumes, die bis dato in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur kaum vorkommen.
Vor dem gemeinsamen geschichtlichen Hintergrund der Sowjetunion haben sich seit deren Ende in den Staaten des post-sowjetischen Raums zahlreiche neue Berufsbildungssysteme unterschiedlicher Ausrichtungen und Ausformungen gebildet. Das zentralisierte und staatlich gesteuerte Berufsbildungs-system der UdSSR, in der Angebot und Nachfrage der Arbeitskräfte vom Staat streng reguliert wurden, funktionierte verhältnismäßig gut. Insgesamt war das berufliche Bildungswesen gut ausgebaut und vernetzt. Laut offizieller Statistiken erfuhr es viel Zulauf, gerade auch im Vergleich zum Hochschulsektor. Die Jugendarbeitslosigkeit war gering.
Seit dem Ende der Sowjetunion im Jahr 1991 sind die neuen Regierungen allerdings mit strukturellen Ungleichgewichten konfrontiert. Angesichts neuer wirtschaftlicher, kultureller, sozialer und politischer Kontexte müssen sie bis heute ihre Berufsbildungssysteme an die veränderten und sich weiter verändernden Bedingungen anpassen. Aus diesem Grund wurden und werden Reformen durchgeführt, damit die berufliche Bildung ihre Funktion der Qualifizierung der Bevölkerung und der Bedienung der Nachfrage des Arbeitsmarktes erfüllen kann.
Trotz der ursprünglich starken Vereinheitlichung und des an sich sehr ähnlichen Ausgangspunkts sind sowohl die Entwicklungstendenzen als auch die Erfolgsaussichten der Bildungsreformprozesse in jedem Land als unterschiedlich zu bewerten. Daher stellt sich die Frage nach den notwendigen historischen und kulturellen Voraussetzungen einer erfolgreichen Entwicklung der beruflichen Bildung und damit nach der Reformfähigkeit dieser Berufsbildungssysteme.
Die Arbeitsgruppe verfolgt das übergeordnete Ziel, Reformprozesse und -faktoren zu erforschen, durch die die Berufsbildungssysteme der Länder der ehemaligen Sowjetunion aktuell behindert werden bzw. zukünftig gefördert werden können. Dazu sollen der aktuelle Zustand der beruflichen Bildung und die damit verbundenen Probleme und Lösungsansätze analysiert werden. Zudem erscheint eine vergleichende Forschungsperspektive mit westlich geprägten Ländern für beide Seiten als gewinnbringend.

Verantwortlich: Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Deißinger & Vera Braun & Oksana Melnyk (Universität Konstanz)


Schulpädagogik


Bildungsgeschichte

Historische Bildungsforschung im postsozialistischen und postsowjetischem Raum

Das 20. Jahrhundert ist weltweit durch verschiedene sozialistische/ kommunistische Bewegungen und Experimente geprägt die auch die Pädagogik erfasst haben. Sozialistische Konzepte entstanden jedoch nicht völlig neu, sondern knüpften ihrerseits an pädagogische Ansätze voriger Jahrhunderte – und keinesfalls nur an sozialistische Positionen – an. Anders als der Begriff „Ostblock“ suggeriert entwickelten sich weltweit sehr verschiedene „Sozialismen“. Begriffe wie „die“ sozialistische Pädagogik erfassen nicht ansatzweise die Vielfalt der Konzepte, die beispielsweise von stalinistischen Auffassungen bis hin zu Versionen einer afrikanischen Pädagogik (Nyerere) reichen. Wesentlichen Anteil an einer eher pauschalierenden Perspektive auf sozialistische Pädagogik hat nicht zuletzt die in der Sowjetunion und vielen anderen sozialistischen Ländern dominierende einseitige (staatssozialistische) Rezeption in der gegenläufige und nicht in den Staatskanon passende Entwicklungen zumeist nicht zur Kenntnis genommen oder pauschal als „bürgerliche Pädagogik“ diffamiert wurden. Unabhängigere Forschung scheiterte zumeist an einem begrenzten Zugang zu den Archivquellen. Trotz inzwischen erfolgter weitgehender Öffnung der Archive wurden nach 1989 nur sehr vereinzelt Forschungen in diesem Themenbereich durchgeführt, so dass der staatsozialistischen Interpretation keine neuen Deutungen entgegengesetzt werden können. Aufgabe einer historischen Bildungsforschung ist es von daher die Vielfalt der sich in den sozialistischen Ländern entwickelten pädagogischen Konzepte einer kritischen Re-Analyse zu unterziehen. Folgende Fragestellungen werden in der Arbeitsgruppe aufgegriffen:

  • Welche Traditionslinien und Bezugspunkte lassen sich in der sozialistischen Pädagogik finden? Wie wurden diese modifiziert und ausbuchstabiert?
  • Wie lässt sich eine „sozialistische Pädagogik“ begriffsgeschichtlich und bildungstheoretisch fassen?
  • Welche pädagogischen Entwicklungen und Phasen lassen sich in der Entwicklung des Bildungssystems in verschiedenen sozialistischen Ländern zu verschiedenen Zeiten finden?
  • Wie haben sich Ideen und Konzepte einer sozialistischen Pädagogik weltweit ausgebreitet (z.B. Lateinamerika, Afrika). Welche Bezüge bestanden zwischen den Ländern? Wie verändern sich Konzepte unter den lokalen Bedingungen? Welche neuen Traditionen wurden aufgenommen? Welche Rolle spielte die Sowjetunion in diesen weltweiten Prozessen?
  • Wie verhalten sich Anspruch und Realität sozialistischer Ideen und pädagogischer Konzepte? Inwieweit gelang Reduzierung sozialer Ungleichheit? Inwieweit diente die Pädagogik dem selbst postuliertem Ziel der Herausbildung einer sozialistischen Persönlichkeit/ eines neuen Menschen?
  • Welches Verhältnis zwischen Bildung(ssystem) und Herrschaftssicherung lässt sich herausarbeiten? Inwieweit und wie wurde die Pädagogik für ideologische Zwecke instrumentalisiert?
  • Welche Transformationen ergaben sich nach 1989? Wo lassen sich Kontinuitäten und Brüche aufzeigen?

Verantwortlich: Prof. Dr. Ingrid Miethe (Universität Gießen)

Bildungspolitik

In dieser Arbeitsgruppe stehen folgende Forschungsfragen im Fokus:

  • Welche institutionellen Veränderungen sind in den Bildungssystemen in den postsowjetischen Ländern nach 1990 bis heute zu beobachten?
  • Welchen Einfluss hatten bildungspolitische Akteure (darunter insbes. Parteien, Lehrkräfteverbände und andere Interessengruppen, internationale Organisation) in den Entscheidungsprozessen?
  • Welche Pfadabhängigkeiten aus der Zeit der Sowjetunion sind nach 1990 in den Bildungssystemen in den postsowjetischen Ländern festzustellen?

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe bearbeiten diese Forschungsfragen in Einzelfallstudien und auch in Ländervergleichen. Die Arbeitsgruppe ist offen gegenüber den verschiedenen Untersuchungsmethoden wie auch theoretischen Perspektiven. Ebenso werden Untersuchungen zu allen Bereichen der Bildungssysteme begrüßt, so etwa zur frühkindlichen Bildung, Schulen, berufliche Bildung, Hochschulen und auch Weiterbildung.

Verantwortlich: Prof. Dr. Michael Dobbins (Universität Konstanz) und Prof. Dr. Rita Nikolai (Humboldt-Universität zu Berlin)


Archive und Bibliotheken